Donnerstag, 12. Februar 2015

Live-Berichterstattung von der Blutbildung

Im Knochenmark entsteht aus Blutstammzellen über Vorläuferzellen verschiedener Reifestadien die bekannte Vielzahl reifer Blutzellen. Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum statteten Blutstammzellen der Maus mit einem Leuchtmarker aus, der sich von außen anschalten lässt. So konnten sie erstmals unter Normalbedingungen die Entwicklung von Blutzellen aus Stammzellen im lebenden Organismus mitverfolgen und aus diesen Daten die Dynamik der Blutbildung berechnen. Wie die Forscher nun in der Zeitschrift Nature beschreiben, verläuft  die normale Blutbildung anders als bisher aufgrund von Stammzelltransplantation angenommen wurde. 

Vergrößerte Ansicht Blutstammzellen des Knochenmarks wurden mit einem Fluoreszenzprotein markiert. Die Verteilung der leuchtenden Tochterzellen ermöglicht die mathematische Modellierung der Dynamik der Blutbildung und gibt neue Einblicke in das Verhalten von Stammzellen. | © Kay Klapproth / DKFZ
Die Bedeutung des Bluts für das Leben war den Menschen spätestens seit der Antike klar. Naturforscher spekulierten daher seit Jahrtausenden über die Nachschubquelle des Lebenssafts. Jahrhundertelang galt die Leber als Ort der Blutbildung, bis der deutsche Pathologen Ernst Neumann 1868 unreife Vorläuferzellen im Knochenmark und damit den wahren Ort der Hämatopoese entdeckte. An der Blutbildung formulierten und bewiesen Wissenschaftler erstmals das Konzept der Stammzellen als gemeinsamen Ursprung verschiedener ausgereifter Zellen.
„Fast alle Untersuchungen der Blutbildung in den letzten Jahrzehnten krankten jedoch daran, dass man auf Versuche in der Kulturschale oder auf Transplantationsversuche an Mäusen angewiesen war“, erklärt Prof. Hans-Reimer Rodewald vom Deutschen Krebsforschungszentrum. „Wir haben nun erstmals ein Modell entwickelt, bei dem wir die Entwicklung von der Stammzelle bis hin zur reifen Blutzelle am lebenden Organismus verfolgen können.“
Dr. Katrin Busch aus Rodewalds Team hatte Mäuse genetisch so modifiziert, dass nur ihre Blutstammzellen einen Leuchtmarker, ein gelb fluoreszierendes Protein, enthielten. Durch Gabe eines Wirkstoffs lässt sich der Leuchtmarker zu jedem beliebigen Zeitpunkt im Tier anschalten. Alle Tochterzellen, die aus einer so markierten Zelle entstehen, leuchten ebenfalls.
Schaltete die Forscherin den Marker bei erwachsenen Tieren an, so zeigte sich, dass mindestens ein Drittel der Blutstammzellen (in einer Maus ca. 5000) differenzierte Vorläuferzellen produzieren. „Das war die erste Überraschung“, sagt Katrin Busch. „Bislang dachte man, dass im Normalzustand nur sehr wenige Stammzellen, etwa zehn, tatsächlich aktiv zur Blutbildung beitragen.“
Es dauert jedoch sehr lang, bis sich der Fluoreszenzmarker gleichmäßig bis in die peripheren Blutzellen verbreitet, ein Zeitraum, der sogar die Lebensspanne einer Maus überschreitet. Die mathematische Analyse dieser experimentellen Daten durch den Systembiologen Prof. Thomas Höfer und seine Mitarbeiter (ebenfalls am Deutschen Krebsforschungszentrum) zeigte, dass es überraschenderweise gar nicht die Stammzellen selbst sind, die unter Normalbedingungen die Zahl der Blutzellen aufrechterhalten. Dies leisten die Zellen des darauffolgenden Differenzierungsschritts, die ersten Vorläuferzellen. Auch diese können sich noch lange Zeit selbst erneuern – allerdings nicht ganz so lang wie die Stammzellen. Damit sich die Population der ersten Vorläufer nicht erschöpft, müssen Blutstammzellen gelegentlich wieder einige davon nachproduzieren.
Während der Embryonalentwicklung der Mäuse sieht es dagegen anders aus: Für den Aufbau des Systems entwickeln sich alle reifen Blut- und Immunzellen deutlich schneller und fast vollständig aus Stammzellen.
Schneller ging es auch beim erwachsenen Tier, nachdem die Forscher künstlich einen Mangel an weißen Blutkörperchen ausgelöst hatten: Unter diesen Bedingungen steigern die Blutstammzellen die Bildung der ersten Vorläuferzellen, die dann umgehend für Nachschub an reifen Blutzellen sorgen. Dabei entstehen mehrere hundert Mal mehr Zellen der sogenannten myeloiden Reihe (Thrombozyten, Erythrozyten, Granulozyten, Monozyten) als langlebige Lymphozyten.
„Wenn wir unseren im Knochenmark markierten Blutstammzellen in andere Mäuse transplantierten, waren nur wenige Stammzellen im Empfänger aktiv und viele Stammzellen gingen verloren. Unsere neuen Daten zeigen daher, dass man die Erkenntnisse, die bislang mit transplantierten Stammzellen erzielt worden sind, sicher nicht eins zu eins auf die normale Blutbildung übertragen kann; im Gegenteil: die Transplantation ist ein Sonderfall“, erläutert Hans-Reimer Rodewald. „Das zeigt uns, wie wichtig es ist, die Hämatopoese tatsächlich unter Normalbedingungen im lebenden Organismus mitzuverfolgen.“
Die Wissenschaftler in seiner Abteilung planen nun gemeinsam mit Thomas Höfer mit ihrem Modell auch die Auswirkung von krankhaften Veränderungen der Blutbildung, zum Beispiel bei Krebs, Kachexie oder Infektionen, zu untersuchen. Auch mögliche Alterungsprozesse der Blutstammzellen können sie so detailliert 'live' mitverfolgen.
Katrin Busch, Kay Klapproth, Melania Barile, Michael Flossdorf, Tim Holland-Letz, Susan M. Schlenner, Michael Reth, Thomas Höfer und Hans-Reimer Rodewald Fundamental properties of unperturbed haematopoiesis from stem cells in vivo. Nature 2015, DOI:10.1038/nature14242
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.

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